Britische Eisenbahnen nicht nur in Großbritannien

Nicht nur die ersten Lokomotiven in Deutschland und vielen anderen Ländern kamen aus Großbritannien, es waren auch britische Ingenieure, die für viele Länder der Welt ganze Eisenbahnnetze entwarfen und bauten.

Britische Eisenbahningenieure als Exportschlager des 19. Jahrhunderts

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Robert Stephenson wurde vom belgischen König bereits 1834 beauftragt in Belgien ein Eisenbahnnetz aufzubauen. Er baute auch Eisenbahnen in Norwegen, Ägypten, Frankreich und anderen Ländern.

Die Brüder Richard Francis und Francis Henry Trevithick, Enkel von Richard Trevithick, dem Erbauer der ersten Dampflokomotive, gingen 1876 nach Japan und waren dort bei der japanischen Regierung angestellt um den Aufbau eines Eisenbahnnetzes zu planen, durchzuführen und auch Japaner zu Eisenbahningenieuren auszubilden.

Die ersten in Japan gefertigten Lokomotiven der Baureihe 860 (Bild rechts) wurden von Richard Francis Trevithick konstruiert und waren ab 1893 im Einsatz. Zuvor wurden die Lokomotiven aus Großbritannien importiert.

Diese Liste lässt sich immer weiter fortsetzen.

Eisenbahntrassen in aller Welt

Pauling & Co. war ein 1894 von George Craig Sanders Pauling gegründetes Tiefbauunternehmen. Neben Hafenanlagen, Dämmen und Straßen baute Pauling & Co. von 1894 bis 1939 über 10.000 km Eisenbahnstrecken. Die meisten davon in Südafrika, Rhodesien, Mozambique, Angola und anderen zentralafrikanischen Ländern, aber auch in Brasilien, Borneo, China, Griechenland, Indien, Puerto Rico, Syrien u.a.
In Großbritannien selber baute Pauling & Co nur die rund 26 lange Strecke zwischen Northolt und High Wycombe für die Great Western and Great Central Joint Railway.

Britische Kolonien

Aber auch in vielen britische Kolonien der damaligen Zeit waren es britische Ingenieure die den Aufbau von Eisenbahnnetzen planten und durchführten. Dabei stand meist weniger die verkehrsinfrastrukturelle Entwicklung der Kolonien im Vordergrund, sondern viel mehr die kolonialwirtschaftlichen und -politischen Interessen Großbritanniens.

In den 1850er Jahren begann Großbritannien damit erste Bahnstrecken in Britisch-Indien zu bauen und errichtete hier bis zum Ersten Weltkrieg eines der größten Eisenbahnnetze der Welt. 1853 wurde die erste Strecke der Great Indian Peninsula Railway (GIPR) eröffnet. Im Jahr darauf folgte der erste Streckenabschnitt der East Indian Railway (EIR). 1871 war das indische Bahnnetz bereits 8190 km lang. Ende 1885 waren es 19775 km und 1912 bereits 53876 km, also weitaus länger als das britische Schienennetz, das 1912 gerade mal 37740 km erreichte.

Hauptartikel: Britische Eisenbahnen in Britisch-Indien

Beispiel: North Western Railway (Indien)

Auf eine indische Eisenbahngesellschaft soll hier stellvertretend kurz näher eingegangen werden:

Die North Western Railway (NWR) wurde 1886 durch Fusion mehrerer kleinerer Eisenbahngesellschaften als North Western State Railway gegründet und später umbenannt. Um 1900 war sie mit über 5000 km Streckenlänge die größte Eisenbahngesellschaft in Britisch-Indien und hatte damit ein längeres Schienennetz, als die größte damalige Eisenbahngesellschaft Großbritanniens, die Great Western Railway. Zu dieser Zeit war die NWR im Besitz von 602 Dampflokomotiven, 2121 Personen- und 10312 Güterwagen. Ab 1906 experimentierte man auch mit einem Dampftriebwagen. (Siehe auch: Rollmaterial der Eisenbahngesellschaften)

Nach dem Ende der Kolonialzeit und der Unabhängigkeit 1947 gehörte der größte Teil des NWR-Streckennetzes, das nun auf dem Gebiet eines neu gegründeten Staates lag, zu Pakistan. Der Name wurde anfangs beibehalten, aber 1961 in Pakistan Western Railways umbenannt.

Diese Bahn hatte im Übrigen nichts mit der britischen North Western Railway, oft als "Little" North Western Railway bezeichnet, zu tun.

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Von Neilson & Co. um 1900 gebaute Lokomotive für die indische NWR.
Das Bild stammt aus dem Bildarchiv der ETH Zürich, eine höhere Auflösung finden Sie hier.

In vielen weiteren Kolonien entstanden nach und nach viele Eisenbahnlinien, so z.B. in der früheren Kolonie Natal (im heutigen Südafrika) die 1877 gegründete Natal Government Railways (NGR).

Hauptartikel: Natal Government Railways

Dampflokomotiven Made in United Kingdom

Dampflokomotiven waren der Exportschlager schlechthin. Eine der ersten Fabriken die Maschinen für den Export baute, war die Vulcan Foundry Company in Newton-le-Willows, Lancashire, an der auch Robert Stephenson einige Jahre lang beteiligt war.
Ab 1835 verkaufte man hier Lokomotiven nach Belgien und Frankreich, im Jahr darauf auch an Österreich und Russland.
Auch die ersten in Indien eingesetzten Maschinen kamen von der Vulcan Foundry. Später produzierte man auch für Neuseeland, Australien, Südamerika, China und andere Länder.

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Eine von der NBL 1907 für Ägypten gefertigte Lokomotive mit Sonnendach als Führerstand.

Die schottische Lokomotivfabrik Andrew Barclay & Sons Co. lieferte ebenfalls Dampflokomotiven nach Australien, China, Neuseeland und andere Länder und die 1903 durch Fusion mehrerer kleinerer Lokomotivfabriken entstandene North British Locomotive Company (NBL) in Glasgow wurde sogar zum größten Lokomotivhersteller Europas.
Hauptabnehmerländer waren Kanada, Paraguay, Argentinien, Frankreich, Spanien, Angola, Ghana, Südafrika, Ägypten, Palästina, Indien, China, Japan, Malaysia, Philippinen, Australien und Neuseeland.

Auch viele britische Wagenbauanstalten, wie z.B. die Lancaster Railway Carriage and Wagon Company, exportierten Personen- und Güterwagen in viele Länder der Welt (Bild rechts). So bauten z.B. sowohl die Midland Railway Carriage and Wagon Company, als auch die Birmingham Railway Carriage and Wagon Company die Güterwagen der Bengal-Nagpur Railway in Indien. Oft wurden auch nur die Einzelteile in Großbritannien gefertigt und von den Bahngesellschaften im jeweiligen Land zusammengebaut. So z.B. die ersten Güterwagen der Halmstad–Nässjö Railway in Schweden.

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Ein 1900 für die australische Mount Lyell Mining and Railway gebauter Güterwagen.

Sonderfall USA

In den USA wurden zu Beginn des Zeitalters der Eisenbahn fast alle Dampflokomotiven aus Großbritannien importiert. Auch später wurden immer mal wieder Maschinen aus britischer Fertigung in die USA verschifft. So kaufte z.B. die Pennsylvania Railroad 1889 eine Lokomotive der Dreadnought Class oder die Chicago, Milwaukee & St. Paul Railroad 1893 die James Toleman.

Andererseits waren wegen eines sehr langen Streiks von 1897 bis Frühjahr 1898 in der britischen metallverarbeitenden Industrie um 1900 viele britische Gesellschaften gezwungen Lokomotiven in den USA bauen zu lassen.

Siehe: Liste ausländischer Dampflokomotiven in Großbritannien

Nachbauten britischer Vorbilder

Gelegentlich bauten einheimische Lokomotivfabirken erfolgreiche britische Lokomotiven einfach nach. Meist nach den Originalplänen, wenn auch mit kleinen Veränderungen.
Ein bekanntes Beispiel dafür sind die australischen Dampflokomotiven der NSWGR N67 Class, denen man ihre Verwandschaft zu den berühmten A1 Class Lokomotiven der LB&SCR gleich ansieht.

Die Belgische Staatsbahn kaufte 1898 fünf Lokomotiven der CR 766 Class und war von diesen so begeistert, dass sie von einheimischen Lokomotivfabriken im Laufe der Jahre noch 90 Stück nachbauen lies. Auch die CR 812 Class wurde von den Belgiern nachgebaut.

Auch die bekannten kurzen offenen Güterwagen waren in vielen ehemaligen Kolonien zu finden.

Daneben wurden gelegentlich auch original britische Baureihen in andere Länder geliefert, wie z.B. 50 Maschinen der HR Castle Class an die französischen Staatsbahnen (ETAT).

Diesellokomotiven als Exportschlager

Auch Diesellokomotiven wurden in großen Mengen exportiert, hauptsächlich Modelle von English Electric, aber auch von kleineren Herstellern wie Brush oder Sentinel. Empfänger waren meist ehemalige Britische Kolonien. Der High Speed Train, das Markenzeichen Englands aus den 70er Jahren, fährt auch in Australien.

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Eine von der Brush Type 4 (Class 47) abgeleitete Baureihe in Kuba am Ende ihrer Lebensdauer 1998. Hauptunterschiede sind der große Scheinwerfer, die kleinere Spurweite und die Mittelpufferkupplung.

Britische Sicherungstechnik im Ausland

Das in Großbritannien übliche System zur Signalisierung der Fahrtwege ohne Angabe der Geschwindigkeit (Hauptartikel: Signalling) wurde bei der Kolonialisierung von Australien ohne Änderungen übernommen. Da in Australien drei verschiedene Gleisnetze mit verschiedenen Spurweiten existieren, gibt es in Australien an Signalen von Mehrschienengleisen einen Zusatzanzeiger, der anzeigt, für welche Spurweite der Fahrtweg eingestellt ist. Dabei steht ein N für narrow gauge (Schmalspur), ein S für standard gauge (Normalspur) und B für broad gauge (Breitspur).

Neben dem britischen Sicherungssystem existieren weltweit noch das deutsche und das amerikanische System. Es existieren aber auch Mischformen. So haben Russland und China beispielsweise Elemente der Signalbilder aus dem deutschen und dem britischen Signalsystem übernommen, verlassen sich aber auf eingleisigen Strecken andererseits teilweise auf die aus der britischen Sicherungstechnik stammenden Token. Andere Länder nutzen Elemente der amerikanischen und englischen Sicherungstechnik.

Quellen und Weblinks

http://japanbahn.wikidot.com/geschichte-der-eisenbahn-in-japan — Geschichte der Eisenbahn in Japan
http://www.zeno.org/Roell-1912/A/Indische+Eisenbahnen — Geschichte der Eisenbahn in Indien
http://de.wikipedia.org/wiki/North_Western_State_Railway — North Western Railway in British-Indien
https://en.wikipedia.org/wiki/Pauling_%26_Co._ — Pauling & Co.
http://de.wikipedia.org/wiki/North_British_Locomotive_Company — North British Locomotive Company
http://www.railsigns.uk/overseas/overseas.html — Britisches Signalsystem und Abwandlungen davon weltweit
https://twitter.com/rail_operator/status/516899642458767360 — Vergleich von Signalbildern von deutschen, englischen und chinesischen Signalen (Twitter-Post von Prof. Jörn Pachl)

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