Personenwagen vor 1923 (Era 1 und 2)

Personenwagen der Pionierzeit

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In der Anfangszeit der Eisenbahn sahen die Personenwagen der ersten Pferdeeisenbahnen wie Postkutschen aus. Mehr oder weniger waren es ja Kutschen die auf Schienen fuhren.

Später bei den ersten öffentlichen Eisenbahnen mit Dampflokomotiven waren die Personenwagen zweiachsig und meist sehr kurz, so wie die Wagen der Stockton and Darlington Railway (S&DR) aus dem Jahr 1846 (Bild).
Sie bestanden aus drei getrennten Abteilen. Jedes davon bildete eine für sich bestehende Einheit mit Türen und Fenstern auf beiden Seiten und mit 6 Sitzplätzen, so dass der ganze Wagen 18 Personen fassen konnte. Außen auf den beiden Enden des Daches waren unbedeckte Sitze angebracht.

Drei Wagen aus der Pionierzeit der Eisenbahn sind erhalten geblieben und sind wohl die ältesten komplett erhaltenen Personenwagen der Welt.

Hauptartikel: Personenwagen der Bodmin and Wadebridge Railway

Die Liverpool and Manchester Railway (L&MR) verwendete 2 Arten von Wagen I. Klasse, die sich durch die größere oder geringere Bequemlichkeit der Sitzplätze unterschieden und 2 Gattungen von Wagen II. Klasse, die eine mit, die andere ohne Fenster.

Lange Zeit hindurch wurden Reisende auch in offenen Wagen stehend befördert. Bei einigen Gesellschaften wurde es für ein ausreichendes Maß von Bequemlichkeit gehalten, die Reisenden, die zum geringsten Satz fuhren, in einer Art Kiepe, die hinter dem Wagen aufgehängt wurde, zu befördern. Erst auf Veranlassung des britischen Parlaments wurden später notdürftig ausgestattete bedeckte Wagen III. Klasse eingeführt; diese besaßen jedoch meistens keine Fenster, sondern waren nur mit Vorhängen an den Seiten versehen. Manche Bahngesellschaften boten sogar eine IV. Klasse an, wobei es sich um offene Wagen handelte, in denen die Reisenden stehen mussten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Personenwagen weniger komfortabel als vergleichbare Wagen auf dem Kontinent oder in den USA. Während ein Abteil der 1.Klasse um 1860 in Frankreich rund 2 m lang war, waren es in Großbritannien nur gut 1,8 m. In der 3.Klasse waren es nur 1,2 gegenüber 1,3 bis 1,35 m. Abgesehen davon waren die meisten britischen Personenwagen noch 3-Achser, während in Deutschland und Frankreich zu dieser Zeit viele Gesellschaften schon auf Drehgestellwagen umgestiegen waren. Dieses Verhältnis kehrte sich später um, bereits ab ca. 1900 wurden im Vereinigten Königreich keine Personenwagen mehr gebaut, die nicht Drehgestellwagen waren.

Alle irischen Eisenbahngesellschaften zusammen waren 1867 im Besitz von 1588 Personenwagen.

Siehe auch: Personenwagen der irischen Eisenbahngesellschaften 1867

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Personenwagen aus der Anfangszeit der Great Western Railway.
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Raucherwagen

In der Anfangszeit der Eisenbahn war in den Zügen das Rauchen verboten und den Dampflokomotiven vorbehalten. Ab 1846 waren bei der Eastern Counties Railway dreiachsige rund 12 m lange "Smoking or excursion saloon" (Rauch- und Promenierwagen) im Einsatz.
Zugang hatten nur Passagiere der ersten Klasse. Das Innere dieser Wagen war sehr elegant und zweckdienlich eingerichtet und hatte Ähnlichkeit mit den königlichen Wagen, die bei einige Gesellschaften im Einsatz waren. Die der Länge nach zu beiden Seiten angebrachten Sitze waren gepolstert und mit Stoff überzogen und an jeden Seiten waren große Spiegelglasfenster. In der Mitte stand ein großer Mahagonitisch und alle übrigen Möbel waren ebenfalls aus Mahagoniholz. Am Abend wurden die Wagen beleuchtet.

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2-achsiger 3rd Class Carriage der Midland Railway, 1884 gebaut.
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3-achsiger Wagen der Midland Railway mit Abteilen 1. und 3. Klasse,
sowie Gepäckabteil, vor 1889 gebaut.
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4-achsiger Lavatory tri-composite der London & North Western Railway, 1887
gebaut. Zugang zur Toilette bestand nur für die Reisenden 1. Klasse.
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2-achsiger 3rd Class Carriage der Great Northern Railway, 1900 gebaut.

Personenwagen der Pre-Grouping-Zeit

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Die Personenwagen der Pre-Grouping-Zeit zeichneten sich vor allem durch Qualität und Luxus aus. Die nebenstehende Zeichnung aus dem Innern eines vierachsigen Corridor Carriage der West Highland Railway aus dem Jahre 1894 lässt erahnen, wie elegant und komfortabel damals gereist wurde.

1875, also in dem Jahr in dem die Era 2 begann, entschloss sich die Midland Railway zu einer bahnbrechenden Neuerung, indem sie die II. Klasse bei allen Zügen aufhob. Die anderen Gesellschaften folgten im Laufe der Jahre wegen des Wettbewerbs notgedrungen diesem Beispiel. Bereits ein Jahr zuvor war es wiederum die Midland Railway die als erste britische Eisenbahngesellschaft Personenwagen mit Drehgestellen einsetzte. Lediglich die schmalspurige Ffestiniog Railway verwendete bereits ab 1873 Personenwagen mit Drehgestellen.

Ab der Jahrhundertwende setzten lediglich noch die South Eastern Railway (SER) und die Great Eastern Railway (GER) 3-achsige Personenwagen im Fernverkehr ein. Auch waren alle Personenwagen der 3. Klasse mittlerweile vollständig ausgepolstert. Nur die SER setzte nach 1900 noch Wagen ein, die lediglich über Sitzpolster und schmale Rückenpolster verfügten.

Siehe auch: Personenwagen nach Gesellschaften

Auch entstanden in der Era 2 nach dem Epochensystem mit den 70 Fuß (21 m) Coaches der Great Western Railway die größten jemals in Großbritannien gebauten Personenwagen.

Siehe dazu: Die GWR vor 1923

Zwischen 1914 und 1918 wurden von den größeren Gesellschaften jeweils einige Personenwagen zu fahrbahren Krankenhäusern, sogenannten Ambulance Trains umgebaut.

Pullmanwagen

Die Midland Railway war die erste britische Eisenbahngesellschaft die bereits ab 1874 Pullmanwagen einsetzte. Kurz darauf auch die Great Northern Railway und ein Jahr später die London, Brighton and South Coast Railway. Viele weitere Eisenbahngesellschaften verwendeten im Laufe der Zeit diese eleganten und luxuriösen Wagen.
Es gab sogar Züge die nur aus Pullmanwagen bestanden.

Der erste Speisewagen mit Küche in Europa war der Pullmanwagen Prince of Wales, der bei der Great Northern Railway ab dem 1.11.1879 zwischen Leeds und Kings Cross im Einsatz war.

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Pullmanwagen der Great Eastern Railway.

Einige Gesellschaften bauten lieber eigene luxuriöse und elegante Personenwagen, die auf den ersten Blick Pullmanwagen sehr ähnlich sahen. Das nebenstehende Bild zeigt einen vierachsigen Drehgestellwagen der London, Tilbury and Southend Railway, der ab 1911 zum Einsatz kam.

Siehe auch: Pullmanwagen der SECR, Pullmanwagen der LBSCR

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Vierachsige Speisewagen

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Speisewagen 1. Klasse der GSWR.

Die Great Central Railway (GCR) setzte auf der Great Central Main Line um 1900 selbst in der 3. Klasse sehr bequeme und großzügige Speisewagen ein. In den Zügen die keinen Speisewagen mitführten befand sich jeweils ein spezieller Personenwagen mit Schankraum, der von der Einrichtung her einem britischen Pub ähnelte.

Um einiges luxuriöser waren entsprechend die Speisewagen der 1.Klasse, wie die Zeichnung der Einrichtung eines Speisewagens der irischen Great Southern and Western Railway (GSWR) zeigt.

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Oben: Speisewagen 3. Klasse der GCR.
Rechts: Schankraumwagen
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Sechsachsige Speisewagen

Einige Gesellschaften legten sich auch sehr elegante und luxuriöse Speisewagen (Dining Saloon oder Dining Car) zu. Eine der ersten war die London & North Western Railway (LNWR), die solche Wagen ab 1883 auf der Hauptstrecke zwischen London und Manchester einsetzte.

Durch die sechs Achsen und die gehobene Ausstattung wogen diese Wagen allerdings rund 30 Tonnen. Die sechs Achsen waren aber notwendig um eine größere Laufruhe zu gewährleisten. Beim Überfahren eines Schienenstoßes biegen sich die Enden der Schienen zwangsläufig minimal nach unten. Die Räder eines zweiachsigen Drehgestelles folgen dieser Bewegung, bei einem dreiachsigen Drehgestell jedoch sind stets zwei Radsätze auf der ungestörten Schiene und befördern den dritten Radsatz über die Stoßlücke hinweg.

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Ein Dining Saloon Third Class der Great Northern Railway (GNR) für den Einsatz auf der East Coast Main Line um 1895. Die Reisenden durften die ganze Fahrt von London bis Schottland ohne Zuschlag im Speisewagen sitzen, solange sie alle entsprechenden Mahlzeiten dort einnahmen.
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Ein ehemaliger Personenwagen der LNWR, der umgebaut als Cinema Coach bis in die Zeit von British Rail überlebt hat.

Schlafwagen

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Den ersten Schlafwagen (Bild rechts) im Vereinigten Königreich baute die North British Railway und er fuhr erstmals am 31.7.1873 zwischen Glasgow und London über die East Coast Main Line.

Im Laufe des selben Jahres schafften sich auch die London & North Western Railway und die Caledonian Railway Schlafwagen an, die über die West Coast Main Line London mit Schottland verbanden. Die ersten Schlafwagen waren kurze 3-Achser und hatten meist nur zwei Abteile 1. Klasse und eines 2. Klasse (Zeichnung siehe Weblinks).

Die Great Western Railway führte die ersten Schlafwagen für die 1. Klasse auf der Strecke von London nach Plymouth 1877 ein.

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Zeichnung eines Schlafwagen wie er beim West Coast Joint Stock ab 1914 auf der West Coast Main Line im Einsatz war.

Schlafwagen für die 3. Klasse wurden erst nach dem Grouping 1928 bei der Great Western Railway, der London Midland and Scottish Railway und der London and North Eastern Railway eingeführt.

Salonwagen

Königin Victoria reiste als erste unter den britischen Monarchen mit einem Zug: Am 13. Juni 1842 fuhr sie mit einem Sonderzug der Great Western Railway (GWR). Schon bald hatten alle größeren britischen Eisenbahngesellschaften eigene spezielle Wagen für den Gebrauch der königlichen Familie oder anderer Würdenträger.

Siehe auch: Queen Victoria's Saloon, GWR Queen's Saloon Carriages und Dargan Saloon

Modelle

Fertigmodelle (RTR) für 00

Hornby produzierte 1983 bis 1985 Clerestory Composite und Clerestory Brake 3rd Coaches der Midland Railway in 00. Ebenso in den 1960er und 70er Jahren Composite Coaches und Brake Third Coaches der Caledonian Railway. Daneben gab es Modelle der zweiachsigen Personenwagen der Liverpool and Manchester Railway und immer mal wieder verschiedene Wagen der Great Western Railway aus der Zeit vor 1923 von Tri-ang und Hornby. Hattons hat im Oktober 2019 zwei- und dreiachsige Personenwagen für alle größeren Gesellschaften angekündigt. Die Auslieferung soll ab 2021 erfolgen.

Bausätze für 00

Hier hat Ratio Plastic Models ein großes Angebot an Kunststoffbausätzen von Personenwagen der London and North Western Railway, Midland Railway und der Great Western Railway. Ferner gibt es diverse Kleinserienhersteller, die Bausätze aus Messing oder Weißmetall von Personenwagen der verschiedensten Gesellschaften anbieten.

Fertigmodelle (RTR) für N

Modelle von zwei- und vierachsigen Personenwagen in Caledonian Railway-Lackierung, aber ohne konkretem Vorbild, gab es in den 1980er Jahren von Graham Farish. Die zweiachsigen Wagen waren auch in den Farben der Somerset and Dorset Joint Railway erhältlich.

Quellen

"The Illustrated London News", London, 12.09.1846
"Bohemia", Prag, 24. September 1846
"Engineering", London, 04.04.1873
"Enzyklopädie des Eisenbahnwesens", Freiherr von Röll, Wien 1914
"Centralblatt der Bauverwaltung", Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Nr. 47 vom 16. Juni 1900
"The Lancashire and Yorkshire Railway, etc.", British Library, Thomas Normington, 1898
"Faszination Eisenbahn - Enzyklopädie der Eisenbahnen", Atlas-Verlag, 1997

Weblinks

http://www.railwaywondersoftheworld.com/railway-carriage.html — The Railway Carriage - From Wooden Chariot to All-Steel Pullmans
http://www.statelytrains.com/a-dining-car-of-distinction.shtml — Dining Cars
http://lmsca.org.uk/lms-coaches/lnwr-composite-dining-carriage/ — LNWR 2nd and 3rd Class Dining Saloon (Grundriss mit Inneneinrichtung aus dem Railway Engineer, Juli 1901)
http://lowres-picturecabinet.com.s3-eu-west-1.amazonaws.com/43/main/23/102513.jpg — Erster britischer Schlafwagen der NBR von 1873
http://www.lner.info/co/GER/coaches.shtml — Coaches of the Great Eastern Railway
http://basilicafields.wordpress.com/2011/04/17/great-northern-railway-4-wheeled-coaches-part-1/ — Great Northern Railway 4-wheeled coaches
https://en.wikipedia.org/wiki/Coaches_of_the_Great_Western_Railway — Coaches of the Great Western Railway
https://www.hattons.co.uk/newsdetail.aspx?id=594 — Geplante Modelle von Hattons

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