Die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Modellbahn-Maßstäbe
Viele der uns bekannten Modellbau-Maßstäbe verdanken wir der Modelleisenbahn, andere dagegen sind vom Dezimalsystem her bestimmt. Da der Mensch zehn Finger hat, kennen wir in unserer Kultur ein Zahlensystem, das auf der Zehn (lateinisch "decem") beruht.
Dezimale Maßstäbe im Bereich der Modellautos sind 1:100, 1:50 und 1:25. Bei Modellflugzeugen findet man auch 1:200 und 1:500, winzige Schiffsmodelle gibt es auch in 1:1250. Im Architekturmodellbau arbeitet man nur mit metrischen Maßstäben. So stellt z.B. die Firma Preiser auch Figuren in 1:25, 1:50, 1:100, 1:200 und 1:500 her.
Wo aber kommen die "krummen" Maßstäbe (1:87, 1:76, 1:64, 1;43, ….) der Modelleisenbahn her? Nun, wir verdanken sie der echten Eisenbahn. Als man in England die ersten Modelleisenbahnen zu bauen begann, richteten sich die Ingenieure nach der Spurweite der "richtigen" Eisenbahn. Da es sich um englische Ingenieure handelte, maßen sie in Inches. Ein Inch hat 0,025 Meter oder 2,5 Zentimeter. Manchmal hört man den Ausdruck "Zoll" in diesem Zusammenhang, aber das ist nicht ganz richtig. Ein preußischer Zoll zum Beispiel hatte eine Länge von 0,02615 Metern.
Die "richtige" Eisenbahn hatte nun eine Spurweite von 56,5 Inch. Das verdanken wir dem Eisenbahnpionier George Stephenson.
Dezimal ausgedrückt betrug Stephensons Spurweite 1435 mm.
Die ersten Modelleisenbahnen wurden nun auf ein Sechstel verkleinert, die Spurweite war damit annähernd 9,5 Inch. Es gab auch eine auf ein Achtel verkleinerte Modellbahn, deren Spurweite annähernd 7,25 Inch betrug.Diese noch ziemlich riesigen Modelleisenbahnen dampften durch Parkanlagen oder Gärten, es waren also sogenannte Gartenbahnen. Die Hersteller gaben sich alle Mühe, die Modelleisenbahnen weiter zu verkleinern, und sie schafften das auch. Bald schrumpfte die Spurweite auf 5 Inch (5" wird das oft geschrieben) und weiter auf 2,5"; 2" und 1,75". Die letzten drei Spurweiten wurden sozusagen zum Standard in England, deshalb bezeichnete man sie bald als scale 3, 2 und 1. (Foto: Ein um 1910 gebautes Livesteam-Modell einer LNWR Precursor Class)
Die weitere Verkleinerung ließ aber nicht lange auf sich warten, und so benannte man die nächst kleinere Spurweite mit scale 0 (1,25" Spurweite).Dies ergibt einen echten Maßstab von 1:45,2! Das war natürlich völlig krumm und entsprechend schwierig für die Konstrukteure umzusetzen. Die englischen Techniker halfen sich auf einfache Weise, indem sie englische und kontinentale (metrische) Maße mixten. Ein Fuß (foot) in der Realität sollte nun 7 mm beim Modell entsprechen. Auf diese komplizierte Weise ist der Maßstab 1:43,5 entstanden.
Leider war das noch nicht alles, denn einige englische und amerikanische Formenbauer machten sich die Geschichte bei der Umsetzung eines foot in den Bereich der Spurweite 0 doch etwas zu einfach. Sie fanden es sehr bequem, bei der Vermessung ein Viertel Inch (beim Modell) einem foot (beim Original) gleichzusetzen, was dann den Maßstab 1:48 ergibt.
Die Halbierung der Spurweite 0 nannte man Halbnull oder abgekürzt H0 (1:87). Halbiert man nun 1:43,5 erhält man 1:87. Dieser Maßstab jedenfalls setzte sich in Kontinentaleuropa (nicht in England) und den USA durch. Es klingt etwas witzig, aber es war tatsächlich so, dass die Lokomotiven in England meistens kleiner waren als die in den USA und in Kontinentaleuropa. Deshalb war es für die englischen Techniker sehr schwierig, die damals noch relativ großen Modelleisenbahnmotoren in den Lokomotivmodellen unterzubringen. Während man also in den USA 3,5 mm (im Modell) für einen Fuß (beim Original) nahm, bevorzugten die englischen Modellbahnhersteller die Umrechung von 4 mm für einen Fuß. Auf diese Weise wurden die Modelle etwas größer, die Motoren passten nun in die Lokomotiven. Der so gewonnene Maßstab wurde 00 genannt (was in Deutschland etwas "anrüchig" klingt, in England aber z.B. üblich war als Größenangabe für Stricknadeln oder Pinsel) und ist 1:76. Wohlgemerkt gilt der Maßstab in diesem Falle nicht für die Spurweite, sondern nur für das rollende Material! Selbstverständlich war es auch viel einfacher, 4mm für einen Fuß zu berechnen. Den Kontinentaleuropäern hätte das wenig gebracht, weil man hier ja metrische Maße und nicht Fuß benutzt. Der Maßstab 1:76 spielt in Großbritannien bis zum heutigen Tage die größte Rolle. Nebenbei ist noch ein kleiner Maßstab zu erwähnen, der nie besonders in Erscheinung getreten ist. Er wird als 000 bezeichnet und hat das Verhältnis M 1:152 (halb so groß wie 00).
Aus der Halbierung der Spurweite 1 (1:32) ergab sich die Halbe-Eins (1:64),abgekürzt H1 (ha-eins). Im Laufe der Zeit bekam diese Spurweite dann aber die Bezeichnung Spur S. Woher das "S" kam, ist nicht ganz eindeutig. Der Buchstabe S findet sich sowohl in "Sixtyfour" (1:64) für den Maßstab, als auch in "sixteen" (3/16" scale) und "Seven" (7/8" gauge).
Statt der Nenngrößenbezeichnung "0" (Null) wird in Großbritannien und auch den USA meistens ein "O" (Oh) verwendet. Entsprechend dann auch "OO" (Double Oh) für "00" (NullNull) und "HO" (Aitch-Oh) für "H0" (HalbNull).
Definition der Begriffe Nenngröße, Spur, Gauge und Scale
Der Verkleinerungsmaßstab ergibt eine Reihe von Modellspurweiten und wird durch den Begriff Nenngröße ausgedrückt. Diese wird mit Buchstaben bzw. Ziffern bezeichnet.
Die reine Nenngrößen-Bezeichnung ohne Zusatzbuchstabe bzw. -ziffer bezieht sich auf die Vorbildspurweite von 1435 mm.
Bei Schmalspurbahnen mit kleineren Vorbildspurweiten wird im amerikanischen der Nenngrößen-Bezeichnung entweder der Zusatzbuchstabe "n" (für "narrow") und die Vorbildspurweite in Fuß hinzugefügt (Beispiel H0n3) oder aber in Großbritannien die Modellspurweite in mm als Zahl angehängt (Beispiel 009 für Nenngröße 00 mit 9 mm Spurweite).
In Kontinentaleuropa wird wiederum ein Zusatzbuchstabe angehängt (Beispielsweise "0m" für Meterspur in Nenngröße 0).
Für diese kombinierte Nenngrößen- und Spurweiten-Bezeichnung wird im deutschen Sprachgebrauch der Begriff Spur verwendet.
Beispiele:
Nachbildung einer Normalspurbahn im Maßstab 1:76: Nenngröße 00, Spur 00 (Spurweite 16,5 mm)
Nachbildung einer Schmalspurbahn mit 686 - 762 mm Vorbildspurweite im Maßstab 1:43,5: Nenngröße 0, Spur O16.5 oder Spur 0n2½ oder Spur 0e (Spurweite 16,5 mm)
In angelsächsischen Ländern wird der Maßstab auch im Verhältnis „mm je Fuß“ angegeben.
Beispiele:
3,5mm scale für H0
4mm scale für 00
7mm scale für 0
Ferner werden hier auch die Begriffe Scale für den Maßstab und Gauge für die Spurweite verwendet.
Leider oft nicht sehr einheitlich. So bezeichnet man die Nenngröße 1 mit "1 gauge" oder auch "Gauge 1", die Nenngröße 0 aber meistens mit "O Scale".
Verbreitung der einzelnen Nenngrößen in Großbritannien
Die am weitesten verbreitete Nenngröße in Großbritannien ist die 00 (1:76), die dort den gleichen Platz einnimmt, wie in Kontinentaleuropa die H0.
Bereits 1951 fuhren 53 % der Briten in der Nenngröße 00 und zehn Jahre später (1961) waren es sogar 65 %. Entsprechend sank im gleichen Zeitraum auch hier die Beliebtheit der Spur 0 von 35 % auf nur noch 10 %. Bemerkenswert ist, daß die TT3 (die britische Version der TT im Maßstab 1:101,6) im Jahre 1961 bereits 13 % Marktanteil hatte. Laut einer Umfrage der britischen Zeitschrift Model Rail vom Sommer 2009 hat 00 mittlerweile einen Marktanteil von 82 %. Danach folgt die Nenngröße N mit 10 %. Die weiteren Spurweiten spielen so gut wie keine Rolle im Königreich:
0 = 3,4%, P4 = 1,6%, EM = 1,4% und TT-3 = 0,7%
Die weltweit gängigste Baugröße H0 hat in Großbritannien derzeit lediglich einen Marktanteil von 0,3 %.
Übersicht: Nenngrößen britischer Modellbahnen
SE | SM | F | 1 | 0 | S7 | 5.5mm | S | P4 | EM | 00 | H0 | TT-3 | N | 000 | Z | T
Quellen und Weblinks
http://de.wikipedia.org/wiki/Nenngr%C3%B6%C3%9Fen_der_Modelleisenbahn
http://twhk.de/spurweiten/modell.htm - Die wohl vollständigste Liste aller Modellbahnspurweiten und Maßstäbe
http://www.morop.eu/de/normes/nem010_d.pdf - NEM 010 - Definition der Begriffe Nenngröße und Spur
http://en.wikipedia.org/wiki/Rail_transport_modelling_scales#Terminology - Definition der Begriffe Scale und Gauge