Erste Schritte

Die Entwicklung der Eisenbahnen und auch der Modellbahnen hat im Vereinigten Königreich (welches die Staaten England mit Wales, Schottland und Nordirland umfasst, welche außer Nordirland auf der Insel Großbritannien liegen) eine eigene charakteristische Entwicklung genommen, die von Deutschland aus wenig bekannt ist und auf den ersten Blick eigenwillig sein mag.

Für erste Schritte im Bereich Vorbildrecherche sollte man zuallererst die englische Wikipedia heranziehen. Als Schlagworte eignen sich British Railways, eine der Big Four, oder für Diesellokomotiven "BR Class" und dahinter die Baureihennummer. Es sollten auch historische Bilder gesichtet werden, dazu sei der Fotostream von Robert Carroll auf flickr empfohlen: https://secure.flickr.com/photos/robertcwp/sets/

Für erste Schritte im Modellbahnbereich eignen sich die Onlineshops von Antics Online, da dieser nach den Big Four sortiert ist, und Hattons, da es in diesem die Funktion zur Sortierung der Artikel nach Epochen gibt. Hattons ist der größte Modellbahnversandhandel in Europa.

Es gibt in 00 vier große Rollmaterial-Hersteller: Hornby, Bachmann Branchline, Dapol und Heljan, dazu weitere kleine Unternehmen. In N gibt es zwei: Graham Farish und Dapol und ebenfalls weitere kleinere. In Nenngröße 0 gibt es derzeit ebenfalls Aktivitäten der vorgenannten großen Hersteller, aber die Produktpalette ist vergleichbar übersichtlich wie die von zahlreichen weiteren kleineren Anbietern.
Die Nenngröße 00 hat zwei Ableger mit größerer Spurweite bei gleichem Maßstab: Nenngröße EM und P4. Die anderen Baugrößen sind großserienmäßig auf dem britischen Markt gar nicht vertreten.

Obwohl finescale modelling aus Großbritannien kommt, gibt es dort häufig nur stationär oder segmentiell gebaute Anlagen. Ansätze für modulare Anlagen kommen aus Deutschland mit den beiden Gruppierungen Great-BritN und 00Fremo.

Die wichtigsten Details im Überblick

Der folgende Text entspringt im Wesentlichen einem Artikel für die Zeitschrift "Hp1 Modellbahn" des Fremos.

Britannia est omnia divisa…

Großbritannien ist durch die historische Entwicklung der Eisenbahn in Regions aufgeteilt. Da die Regions aus voneinander unabhängigen Eisenbahngesellschaften entstanden sind, gibt es sichtbare Unterschiede von den eingesetzten Fahrzeugen und Lackierungen bis hin zur Philosophie der Sicherungstechnik. Manches davon sind nur kleine Details, einiges ist aber sehr offensichtlich. Um ein schlüssiges Gesamtbild zu erreichen, muss man sich also auf eine Region festlegen.

Als ersten Schritt haben sich 1922 und 1923 die sogenannten Big Four (London Midland and Scottish LMS, London and North Eastern LNER, Great Western GWR und Southern Railways SR) aus über 120 kleineren privaten Eisenbahngesellschaften gegründet. Die Verstaatlichung brachte die Big Four 1948 unter dem Dach der British Railways zusammen, die allerdings auch wieder in sechs Regions unterteilt war: Southern, Western, London Midland, Scottish, North Eastern und Eastern Region.

As time goes by…

Die Epocheneinteilung der Britischen Bahnen unterscheidet sich sinnvollerweiser von der Deutschen. Die wesentlichen Eckpunkte sind:
Era 1 - Pionierzeit bis 1875
Era 2 - Pre-Grouping-Phase mit zahlreichen kleinen Eisenbahngesellschaften bis 1922/23
Era 3 - Die "Big Four" bis 1948
Era 4 - Verstaatlichung durch British Railways, frühes Wappen bis 1956
Era 5 - BR spätes Wappen bis 1966
Era 6 - BR Doppelpfeil-Logo und Corporate Blue bis zur Einführung der Computernummern (TOPS) 1971
Era 7 - BR Doppelpfeil-Logo und Corporate Blue nach der Einführung der Computernummern bis 1982
Era 8 - Unterteilung der BR in Sectors bis 1994
Era 9 - Privatisierung der BR seit 1995

Spezialitäten der Britischen Bahn

Signalbegriffe

In Großbritannien herrscht Linksverkehr – folglich stehen auch die Signale links vom Gleis. Vergleichbar mit dem deutschen Hauptsignal zeigt ein Stop Signal wenn es "On" ist "Danger". Die Signale sind nicht zwangsläufig einem Bahnhof, sondern einfach ihrer Signal Box zugeordnet, man unterscheidet also nicht in Ein- und Ausfahrsignale. Das erste Stop Signal der Box nennt sich üblicherweise Home Signal, das letzte Signal ist ein Starter – dazwischen, davor und dahinter gibt es bei gestreckteren Abschnitten noch diverse Abstufungen. Das Distant Signal ist grob mit dem deutschen Vorsignal zu vergleichen, allerdings zeigt es nur "Clear", wenn alle Stop Signals der betreffenden Signal Box "Off" sind - sonst zeigt es "Caution" und der Lokführer muss damit rechnen am nächsten Signal anhalten zu müssen.

Fahrwegsignalisierung

Während in Deutschland schon relativ früh eine Geschwindigkeitssignalisierung eingeführt wurde, hielt man es in Großbritannien für wichtiger, dem Lokführer (und anderen Eisenbahnmitarbeitern) anzuzeigen, wohin die Weichen gestellt sind. Welche Geschwindigkeit dort zu fahren ist, weiß der Lokführer aufgrund seiner Streckenkenntnis. Die bekannten T-förmigen Bracket Signals mit mehreren Signalen nebeneinander zeigen also die Fahrtrichtung am nächsten Abzweig an. Je nachdem, ob das mittlere, rechte oder linke Signal einen Fahrtbegriff zeigt, geht es geradeaus, nach rechts oder nach links. Meist ist der mittlere Signal Doll auch der höchste. Sind andere Signal Dolls auf dem gleichen Querausleger niedriger, bedeutet das eine abzweigende Route. Zum Ausgleich der teilweise komplizierten Signalanlagen gibt es keine Weichensignale.

Bell Codes

Das Zugmeldeverfahren beruht auf Glockensignalen. Gemeldet werden dabei nicht Zugnummern, sondern Zuggattungen, denen jeweils ein Bell Code zugeordnet ist. Wird der Zug angenommen, beantwortet der Stellwerker in der Gegenrichtung durch Wiederholung des Bell Codes und stellt sein Block Instrument auf Line Clear. Fährt der Zug in den Blockabschnitt ein, wird Train Entering Section druchgeklingelt und das Block Instrument wird auf Train On Line gestellt. Hat der Zug die Section am Home Signal der empfangenden Signal Box verlassen, wird das Block Instrument in seine Grundstellung Line Blocked zurückgestellt. Für jede Strecke gibt es eine Glocke mit einem eigenen Klang, damit der Stellwerker unterscheiden kann, welches Gerät geklingelt hat. Dieses System geht schneller als ein Telefonanruf, aber gelegentlich muss dennoch telefoniert werden, um Besonderheiten abzusprechen.

Headcodes

Die Zuggattung wird auch am Zug durch weiße Farbscheiben oder Lampen angezeigt, je nachdem welche dieser Scheiben oder Lampen zu sehen sind. Der Stellwerker konnte anhand der Zuggattung und seines Fahrplans nachvollziehen, um welchen Zug es sich handelt und was er mit ihm machen soll. Später wurden diese Headcodes durch ein alphanumerisches System ersetzt, das tatsächlich einen zugspezifischen Headcode anzeigt.

Gleisbau

Typisch Britischer Gleisbau wird durch zwei Grundsätze bestimmt:
1. Die Britischen Eisnebahningenieure vermeiden spitz befahrene Weichen, solange es irgendwie vermieden werden kann. Für spitz befahrene Weichen sind Facing Point Locks vorgeschrieben, also ein zusätzlicher Mechanismus und ein zusätzlicher Stellhebel, der eingebaut und gewartet werden muss.
2. Während in Deutschland bevorzugt Standardkomponenten verbaut werden und sich die Trassierung nach den verfügbaren Weichenformen richtet, wird in Großbritannien so trassiert, dass es die sinnvollste Linienführung ergibt. Notfalls wird das Herzstück eben vor Ort zusammengeschweißt, wie bei den zahlreichen Bogenkreuzungen der berühmten Einfahrt zum Bahnhof von Newcastle upon Tyne.

Catch_points_1928.jpg

Doppelweichen in Hauptgleisen, Running Lines, sind deshalb keine Seltenheit. Anstelle der aufgelegten Gleissperren werden außerdem Entgleisungsweichen verwendet, Trap Points, die meist nur aus der Zungenvorrichtung bestehen, manchmal sogar mit nur einer Zunge, die den Radsatz dann an der Innenseite aus dem Gleis führt. Bei Steigungsstrecken gibt es noch eine Sonderform, den Catch Point, der wie eine Rückfallweiche rückwärts weglaufende Wagen auffängt (Bild rechts).

Hauptartikel: Weichen

Einzäunung

Ein weiteres wichtiges Detail ist, dass die Behörden in Großbritannien bereits 1845 verlangt haben, Eisenbahnstrecken auf ganzer Länge einzuzäunen. Neben dem überall sichtbaren Lineside Fencing führt das unter anderem dazu, dass Level Crossing, also Bahübergänge, durch Tore gesichert waren, die entweder die Straße oder die Eisenbahnstrecke abgeschlossen haben. Ein zweiter Effekt war, dass die Beleuchtung an Zügen tatsächlich reinen Signalcharakter hatte und keinerlei Ausleuchtung für die Streckensicht bot. Mittlerweile sind diese Regelungen etwas aufgeweicht und man sieht durchaus auch Schranken an Bahnübergängen sowie Scheinwerfer an Lokomotiven. Ausnahmen gab es ab 1898 bei einigen Light Railways.

Bremssysteme

Beim Wagenmaterial ist die Unterscheidung des Bremssystems wichtig. Noch sehr lange sind in England ganze Züge aus ungebremsten Wagen gebildet worden. Der am Zugschluss vorgeschriebene Brake Van war mit einem Bremser besetzt, der per Handkurbelbremse die Bremsleistung der Lok ergänzen musste. Auch nach der Einführung gebremster Güterwagen wurden solche "Unfitted Trains" noch gebildet. Auch wenn ein Wagen gebremst war, musste noch zwischen Vakuumbremse und Druckluftbremse unterschieden werden – es kann also keineswegs einfach jeder Wagen in jeden Zug eingereiht werden.

Sonstiges

Last but not least, der Brite gerne isst gekochte Wildschwein in Pfefferminzsauce mit lauwarme Cervisia.

Weiterführender Artikel

Recherche

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